Kann Architektur die Ökonomie der Ausbeutung hinter sich lassen? Das Architekturzentrum Wien zeigt mit Anupama Kundoo, dass es durchaus eine Antwort auf dieses Dilemma gibt.
Text: Alexandra Fixl
AK Sangamam © Javier-Callejas
Die Architektin Anupama Kundo kommt aus dem postliberalen Indien, ihr Büro war von Anfang an gegen das Prinzip „form follows money”, das zeitgenössische Architektur oft bestimmt. 1989 zog Kundoo in die experimentelle Stadt Auroville in Südindien. Hier gründete sie Anupama Kundoo Architects auf Grundlage einer soziomateriellen und spirituellen Ethik. Mit ihrem eigenen Wohnhsitz, dem Wall House, testete sie verschiedene Strategien der Fülle. Der Grundriss des Gebäudes findet sich in der Ausstellung „Reichtum statt Kapital. Anupama Kundoo“ im Architekturzentrum Wien wieder, kuratiert von Angelika Fitz und Elke Krasny. Kundoo arbeitet derzeit von Büros in Berlin und Mumbai aus, die Architektin hält international Vorträge und hat über hundert Gebäude fertiggestellt, vor allem in Auroville und im indischen Puducherry.
Creativity Co-Housing, ©Javier-Callejas
Das Haus als Hypothese
Die Ausstellung beginnt mit dem 1:1 Mock up einer Hütte aus unbehandelten Stämmen von Kasuarinen-Bäumen, die mit Kokosnussschnüren zusammengehalten werden – eine Rekonstruktion von Kundoos früher Hut Petite Ferme. Weiter geht es über Terrakotta-Wege mit verspiegelten Einlagen zu einem niedrigen Tisch, Korbstühlen und traditionellen Handwerksgegenständen, darunter Möbel aus Chettinad aus dem 19. Jahrhundert, Tische, geschnitzte Bänke und Hängeschaukeln. Betonwände mit Lochmuster und handgefertigte Lehmsteine bilden eine zweigeschossige Wand, die dem Wall House ihren Namen gibt – ein Beispiel für Kundoos Ansatz, innovative Techniken mit lokal verfügbaren Materialien zu kombinieren und dabei die Maßstäbe der sogenannten industriellen Perfektion zu umgehen. Ihre Gebäude verbinden Low- und Hightech, Leichtbauweise, passive Kühlung und regionale Materialkreisläufe, sie setzen auf traditionelles Wissen und lokale Wirtschaftssysteme. Das Wall House wirft grundlegende Fragen auf, die im Mittelpunkt der Ausstellung stehen: Wie kann Architektur auf Suffizienz statt Ausbeute setzen? Wie kann das Bauwesen Spekulation, der Kommerzialisierung und der Verschwendung entkommen? Garantiert ausschließlich der Wachstum den Wohlstand? Kundoo suggeriert, dass alle notwendigen Ressourcen – Materialien, Techniken, räumliches Wissen und kollektive Fähigkeiten – bereits vorhanden sind. Die Herausforderung besteht darin, sie zu aktivieren.
Terracotta © Andreas Deffner
Säulen des Überflusses
Die Kuratorinnen der Ausstellung im Architekturzentrum Wien gliedern Kundoos Typologien zu den Strategien des Überflusses in acht konzeptionelle Säulen, darunter Wissen, Materialien, Lösungen und Natur. In Kundoos Arbeiten, deren Design von Hybridität und Egalitarismus bestimmt ist, treffen oft Gegensätze aufeinander, die sich eigentlich ausschließen. Anstatt den internationalen Modernismus zu kopieren, deckt die Architektin die wiederholten Misserfolge großangelegter Masterpläne auf, die von renommierten Planern konzipiert, aber von Technokraten ohne Beteiligung der betroffenen Gemeinden umgesetzt wurden. Kundoos Architektur widersetzt sich dem Narzissmus der individualisierten Gesellschaft und offenbart die Verbindung zwischen Standort, Bewohner:innen, Arbeit, Kapital und Umwelt über verschiedene Maßstäbe hinweg. Sie schlägt eine soziale und ökologische Transformation vor, doch ohne politische Verankerung läuft die Vision Gefahr, eine Utopie zu bleiben. Dennoch markieren die Säulen des Überflusses einen Wandel: von Raffinesse zu Verantwortung, von Effizienz zu Fürsorge, von Produktion zu Zusammenarbeit.
Wall House, © Javier-Callejas
Von der Ausstellung zum Katalog
Der Katalog erweitert die Ausstellung, seine Essays decken strukturelle Verflechtungen von Architektur als Teil einer extraktiven Logik auf. Die internationalen Autoren und Autorinnen erweitern die Perspektive durch Bezüge zur Architekturtheorie, auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit, kapitalistische Systeme, ökologische Nachhaltigkeit und postkoloniales feministisches Denken. Es geht um eine Architektur der Fürsorge und die Kritik an herrschenden Paradigmen. Denn mit „Reichtum statt Kapital“ nutzt Kundoo vorhandene Ressourcen, um mit ihnen eine Alternative zu entwickeln, eine „Art des Seins”, die nicht von Akkumulation und ungebändigtem Konsum abhängig ist. Die Notwendigkeit ist klar: Wir müssen bauen – aber anders.
“Abundance Not Capital. The Lively Architecture of Anupama Kundoo”; Angelika Fitz & Elke Krasny (edd.), published on the occasion of the exhibition at Architekturzentrum Wien, 18 September 2025 until 16 February 2026, book design: Alexander Ach Schuh, The MIT Press 2025, paperback, 304 pp., 180 color illustrations, ISBN: 9780262553124