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Foto für den in der November-Ausgabe 1984 des Magazins GEO veröffentlichten „Bericht aus dem Mäusebunker“ von Peter-Matthias Gaede: „Ein Platz für viele Tiere“ © Georg Fischer

Eine Fahrt in den Berliner Südwesten kann heute einer Pilgerfahrt gleichkommen. Man muss nur den Hindenburgdamm in Steglitz hinunterfahren. Da kommt erst linkerhand der Campus des Benjamin-Franklin-Krankenhauses in Sicht, errichtet mit amerikanischen Wiederaufbaumitteln als Universitätsklinik der Freien Universität 1959-1968 nach Plänen von Curtis and Davis aus New Orleans.

Mäusebunker und Hygieneinstitut. Eine Berliner Versuchsanordnung

Text: Florian Heilmeyer

Eine Fahrt in den Berliner Südwesten kann heute einer Pilgerfahrt gleichkommen. Man muss nur den Hindenburgdamm in Steglitz hinunterfahren. Da kommt erst linkerhand der Campus des Benjamin-Franklin-Krankenhauses in Sicht, errichtet mit amerikanischen Wiederaufbaumitteln als Universitätsklinik der Freien Universität 1959-1968 nach Plänen von Curtis and Davis aus New Orleans. Direkt dahinter biegt man in die unscheinbare Krahmerstraße ab, eine Sackgasse, die eine kurze Böschung zum Bäke-Kanal hin abwärts führt. Überraschend tauchen aus den Büschen zu beiden Seiten der Straße zwei der beeindruckendsten Nachkriegsgebäude West-Berlins auf: das Hygieneinstitut von Hermann Fehling und Daniel Gogel (1961-1974) auf der linken und unmittelbar vis-a-vis auf der anderen Straßenseite, die Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin, gebaut zwischen 1971 und 1981 und entworfen von Magdalena und Gerd Hänska mit Kurt Schmersow und besser bekannt unter ihrem Gänsehautnamen: Mäusebunker.

Mäusebunker, 2020, © Kay Fingerle

Stehen, schauen, staunen

Man darf hier gerne erstmal stehen bleiben und dieses so unterschiedliche Paar von beiden Seiten auf sich wirken lassen wie einen Ofen mit Ober- und Unterhitze. Stehen, schauen, staunen. Jetzt wird auch klar, wieso dies eine Pilgerfahrt ist: es kann der Drang aufkommen, sich niederzuknien und einer Zeit zu huldigen, in der die öffentliche Hand in Berlin das Geld und den Mut hatte, solche Gebäude für Gesundheitswesen und Forschung zu errichten. Ey, Wahnsinn, sa’ ick.

Hygieneinstitut, 2020, © Kay Fingerle

Vielfalt der Nachkriegsmoderne

Beide Gebäude stehen für diametral entgegen gesetzte Architekturrichtungen der Nachkriegsmoderne, ihr Gegenüber ist kraftvoller Beweis für deren Vielfalt. Wo das Hygieneinstitut mit seinen weichen, fließenden Formen und gezielt eingestreuten Farbflächen, seinen feinen Stützen, den Lufträumen, Stegen und Galerien eine heitere Leichtigkeit verströmt, setzt der Mäusebunker gegenüber auf Kraft und Gewicht der puren Masse, lässt seine blau gestrichenen Abluftschächte wie Kanonenrohre aus seinem pyramidenförmigen Waschbetonkörper ragen und erinnert auch sonst in seinen Formen an ein Schlachtschiff. Entsprechend reichen seine Spitznamen von „Panzerkreuzer Lichterfelde“ bis „Mäusebunker“.

 

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Inside Hygieneinstitut, 2020, © Kay Fingerle

Sanierungsstau und fragliche Zukunft

Die Rezeptionsgeschichte beider Gebäude wäre einen eigenen Text wert, aber kurz gesagt manövrierten beide bis in die Nachwendezeit in Gewässern der größeren Unbekanntheit und Ignoranz – kaum jemand kannte sie, kaum jemand wusste mit den Namen ihrer Architekten etwas anzufangen. Erst in den 2000er-Jahren kamen erste Publikationen, dann in den 2010er-Jahren auch Anerkennung. Gerade noch rechtzeitig, da die Charité als Besitzerin beider Gebäude die zwei Ikonen gerade aufgeben und abreißen wollte – was durch eine Protestwelle 2020 vor allem aus Fachkreisen abgewendet werden konnte. Während das Hygiene-Institut inzwischen eine klare Zukunft als „Berlin Centre for the Biology of Health“ und damit als Teil des Forschungs-Campus der Charité rund um das Benjamin-Franklin-Krankenhaus, ist die Zukunft des Mäusebunkers weiter offen. Zwar hatte das Berliner Landesdenkmalamt ein „Modellverfahren“ durchführen lassen, in dessen Verlauf mehrere Szenarien einer möglichen Umnutzung skizziert wurden. Die Ausschreibung eines Konzeptvergabeverfahrens wird jedoch weiterhin geprüft, da Charité, FU und der Benjamin-Franklin-Campus angesichts der schwierigen Räumlichkeiten und des erheblichen Sanierungsstaus freundlich abgewunken hatten.

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Inside Mäusebunker, 2020, © Kay Fingerle

Eine Liebeserklärung

Auch der Berliner Architekt Ludwig Heimbach gehörte schon 2020 zu den Aktivisten gegen einen Abriss der beiden Inkunabeln der Westberliner Nachkriegsmoderne. Unter dem Titel „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“ hatte er 2020 eine Ausstellung in der Berliner BDA-Galerie organisiert. Aus Heimbachs ausgiebigen Recherchen ist nun ein Buch geworden – und was für eines! Man könnte es ebenso gut als Liebeserklärung an die beiden Häuser verstehen, denn so prall gefüllt und positiv bewertend waren 408 Buchseiten vielleicht noch nie. Da werden in genüßlicher Großzügigkeit die Entstehungsgeschichten beider Häuser mit Plänen, Modellaufnahmen und Fotografien aus der Entstehungszeit ausgebreitet. Besonders beeindruckend ist die Farbfotostrecke von Georg Fischer aus einer GEO-Ausgabe von 1984, die den sonst streng abgeschotteten Mäusebunker im Forschungsbetrieb zeigt. Aber auch die jüngeren Fotos von Anne Herdin oder dem Kollektiv Neue Langeweile bilden die originelle Schönheit beider Gebäude exzellent ab.

242 MB Gaubenfenster Konvolut Haenska

Mäusebunker, Detailblatt, Gaubenfenster, G+M Hänska, © Berlinische Galerie / Konvolut G+M Hänska

Materialfülle

Dazu kommt eine unendliche Fülle an Dokumentationsmaterialien wie abgelichtete Bauwelt-Artikel, Projektbeschreibungen aus dem Landesarchiv, Zeichnungen, Skizzen, Protokolle, bis zu Debattenbeiträgen heutiger Akteure und spekulativen Zukünften für den Panzerkreuzer. Darunter findet sich auch ein schönes Interview, das Ulrich Conrads mit Fehling und Gogel führte, und in dem die Architekten bemerken, dass dieses Haus so viel Aufwand für sie gewesen sei, dass ihr Stundenlohn kaum mehr als fünf Mark betragen hätte, worauf Conrad trocken antwortete: „Kein Wunder, wenn Sie, wie ich gesehen habe, noch die Schalpläne eigenhändig zeichnen!“ Es ist ein wunderbares Buch voller Überraschungen. Sollten Hygieneinstitut und Mäusebunker also in irgendeiner dieser kommenden Zukünfte doch abgerissen werden – leicht könnten wir sie in Berlin anhand dieses Buches weitgehend originalgetreu rekonstruieren wie einst das Schloß!

Ludwig Heimbach (Hg.), „Mäusebunker und Hygieneinstitut. Eine Berliner Versuchsanordnung“, Broschur, 17 × 24 cm, 408 Seiten, 335 Abbbildungen, Jovis Publishers, Berlin 2025, ISBN 978-3-98612-029-0

 

Cover Mausebunker DE

 

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