Interview: Sandra Hofmeister
1997 haben Sie den Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums gewonnen und kurz darauf Ihr Büro in Berlin gegründet. Das muss eine aufregende Zeit gewesen sein.
Das stimmt. In den frühen Jahren nach dem Mauerfall hat sich Berlin neu aufgestellt, und wir haben damals unsere Position dazu entwickelt. Ich kam zu einem günstigen und aufregenden Moment nach Berlin, noch dazu mit einem sehr spannenden Projekt. Das Neue Museum ist in gewisser Weise sehr eng mit der Geschichte der Stadt verknüpft. Wir standen vor der Herausforderung, Ost- und West-Berlin als eine geeinte Stadt wieder zu entdecken, und die Museumsinsel war ein symbolischer Ort für diese Aufgabe. Das war einerseits das Gebäude selbst und andererseits die Zusammenführung eines kulturellen Erbes, das bislang auf verschiedene Standorte in beiden Teilen der Stadt verteilt war. Zu den schwierigen architektonischen Fragen kamen noch infrastrukturelle Probleme, die politischen Implikationen und die komplizierte operative Ebene hinzu.
Berlin musste in kürzester Zeit Lösungen für wichtige Weichen in der Stadtentwicklung finden. Die Ergebnisse waren nicht immer glücklich, es kam auch zu Fehlern. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wie viele andere europäische Städte musste auch Berlin mit der Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg umgehen – an der Spree hatte diese ein beträchtliches Ausmaß. Nach dem Mauerfall kam es dabei in gewisser Weise zu einem zweiten Kapitel. Natürlich hatten West- und Ost-Berlin ihren jeweils eigenen Weg im Umgang mit den Kriegsschäden längst festgelegt. Aber nun ging es plötzlich darum, beide Stadthälften wieder zu einem Gesamtbild zu vereinen. Deshalb kamen in den 1990er-Jahren Probleme auf, die eigentlich in den 1940ern ihren Ursprung hatten. Es war, als ob der Vorhang noch mal geöffnet wurde, und wir Fragen des Wiederaufbaus nach dem Weltkrieg nun aus einer anderen Perspektive neu angehen mussten. Es gab damals viele Ideologien. Berlin in den 1990er-Jahren war ein Schmelztiegel für unterschiedliche Meinungen aus verschiedenen politischen Lagern, die alle eine konkrete Vorstellung davon hatten, was den Charakter der Stadt ausmachen sollte.
Wer hat sich damals durchgesetzt?
Ich glaube, die Frage nach dem Charakter der Stadt ist bis heute offen, und die Auseinandersetzung gibt es immer noch. Berlin hat als Stadt schon immer versucht, sich stets neu zu erfinden. Letztlich ist es eine kontinuierliche Wiedererfindung. Jedenfalls ist auch das Berlin, wie wir es heute kennen, unvollständig. Die Stadt wird sich weiterentwickeln.
Architektonische Interventionen wie das Neue Museum schlagen einen Dialog zwischen Alt und Neu vor. Das bedeutet, dass Architektur auch Verantwortung übernimmt gegenüber der Geschichte. Wie also umgehen mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, mit den unterschiedlichen Ideologien auf beiden Seiten der Mauer, mit dem architektonischen Erbe des 19. Jahrhunderts? Haben Sie einen persönlichen Kompass?
Die Chance, an Projekten mit kultureller, emotionaler und gesellschaftlicher Bedeutung zu arbeiten, ist eine Herausforderung für uns Architekten, die wir nicht oft haben. Das Neue Museum war so ein Bauvorhaben, auch wenn damals alles recht schwierig und verworren schien. Persönlich konnte ich mir keinen anderen Weg vorstellen, als den Dialog mit der Geschichte aufzunehmen. Trotzdem wurde unser Entwurf für das Neue Museum auch als Provokation verstanden, weil wir darauf bestanden, dass die Geschichte ein Teil des Kontexts ist. Uns war die Verantwortung gegenüber dem originalen Museumsgebäude wichtig, weil die Intention der ursprünglichen Architektur auch Qualitäten vorweisen konnte. Es ging uns nicht um eine didaktische Lehrstunde in Geschichte. Doch ich wollte die vorhandene Bausubstanz nicht als etwas Negatives abwerten, sondern ihr auch etwas Positives abgewinnen. Insofern war das Gebäude für uns so eine Art archäologischer Fund. Ein Neubau hätte in meinen Augen keinen Sinn ergeben.
In unmittelbarer Nähe der Museumsinsel befindet sich heute das Humboldt Forum, dessen Architektur eine ganz andere Auffassung von Geschichte offenbart. Der Deutsche Bundestag entschied sich für den Abriss des Palasts der Republik und den Wiederaufbau des Stadtschlosses. Disneyland statt behutsamer Stadtreparatur. Wie passt das zum Neuen Museum und der James-Simon-Galerie?
Wir hatten damals Glück. Das Neue Museum hatte zwar eine politische Dimension, aber es war anders als das Humboldt Forum nicht auf private Finanzierung angewiesen, sondern die Finanzierung wurde komplett vom Land Berlin und vom Bund übernommen. Das gab uns Schutz vor den großen politischen Diskussionen. Außerdem hat Klaus-Dieter Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ein Umfeld geschaffen, das uns die Möglichkeit gab, an einer intellektuellen Idee zu arbeiten und einen Dialog mit den vielen verschiedenen Protagonisten einzuleiten, beispielsweise auch mit dem Denkmalpflegeamt. Ich wollte das Museum unbedingt als ein Gemeinschaftsprojekt umsetzen, es durfte nicht das Werk eines einzelnen Architekten sein. Natürlich gab es auch viele emotionale Reaktionen, und ich wurde oft angegriffen. Aber wir konnten insgesamt unter Bedingungen arbeiten, die eine echte Auseinandersetzung zwischen den Institutionen und allen Beteiligten gefördert haben. Deshalb war das Projekt auch nicht Teil jener großen politischen Polemiken, die später beim Stadtschloss aufkamen.
Sie haben Ihr Berliner Büro nun schon seit fast 25 Jahren. Sind Sie mit der Zeit ein Berliner geworden?
Mein Engagement in Berlin war über viele Jahre erheblich. Die Stadt ist ein Teil meines Lebens, und ich fühle mich ihr sehr verbunden. Mit den Jahren habe ich auch ein bestimmtes Verständnis für Berlin entwickelt. Es ist nicht so leicht, Berlin zu mögen, nicht so wie Paris oder Madrid. Die Stadt hat einen starken Eigencharakter, der mich geprägt hat. Und das Neue Museum hat uns viele Dinge gelehrt, nicht nur in der Architektur, sondern auch im Umgang mit Menschen und in der Zusammenarbeit. Es war eine maßgebliche Berufserfahrung in meinem Leben.
Ausschnitt aus:
Sandra Hofmeister: „Im Dialog mit der Geschichte. David Chipperfield über die kontinuierliche Wiedererfindung Berlins“, in: “David Chipperfield Architects. Architektur und Baudetails / Architecture and Construction Details“ 4. Erweiterte Auflage, Edition Detail, München 2025, Seite 8-15.