Nachwachsendes Bauen entfalten
Mit Holz aus der Klimakrise herausbauen – so lautet die griffige Devise dieser Tage. Das klingt hoffnungsvoll, doch ein genauer Blick tut not. Einerseits ist der neue Holzbau mit seinen Dämm-, Dicht- und Klebstoffen vielfach fossiler Produktion verhaftet, andererseits greift exzessiver Holzverbrauch um sich. Als Erweiterung des Feldes fordern Holzbaupioniere wie Hermann Kaufmann eine Besinnung auf weitere natürliche Baustoffe und eine Bauweise, welche die Stärken des Holzes mit jenen anderer Stoffe in einem hybriden Holzbau kombiniert.
Das Gespräch zwischen den Praktikern Martin Rauch, Martin Mackowitz und Reinhold Straub und dem Herausgeberduo Marina Hämmerle und Florian Aicher aus der Neuerscheinung: "Holz. Von der Materie zum Gebauten", hg. v. Marina Hämmerle und Florian Aicher, mit Texten von: Akos Moravanszky, Dominique Gauzin-Müller, Hermann Kaufmann, Regula Lüscher und vielen anderen. Fotos von Petra Steiner, 304 Seiten, Edition Detail, München 2025.
Marina Hämmerle: Es freut uns besonders, das Gespräch mit Martin Rauch zu eröffnen, dem Pionier des Bauens mit Lehm und anderen irdenen Baustoffen. Seit mehr als vierzig Jahren ist Lehm dein Stoff, mit deinem Know-how hast du quasi eine Renaissance des Materials in Europa eingeläutet.
Martin Rauch: Was mich bewegt, zeigt bereits die Urhütte: ein Weidengeflecht, eine gewebte Wand, mit Lehm bestrichen und früh verziert – der Anfang von Architektur. Lehm und Holz sind das Nachhaltigste, was man sich vorstellen kann; und um den Schutz vor Wind und Wetter zu verbessern, wurden sie mit Stroh oder ähnlichen Pflanzenfasern angereichert. Wir haben über viele Jahre Erfahrungen sammeln dürfen; heute gehört zu unserem Standort eine Produktionshalle von 65 mal 25 Metern mit einer 45 Meter langen, automatisierten Produktionsstraße.
MH Die Staffelübergabe an die folgende Generation ist voll im Gange. Du, Martin (Mackowitz), bist mittlerweile integraler Teil des geschäftlichen sowie privaten Rauch-Netzwerks.
Martin Mackowitz: Als Architekt galt mein Interesse schon während des Studiums der zirkulären Bauwirtschaft und schon relativ bald danach wandte ich Lehm bei kleineren Projekten an. Später führte mich das Leben auch privat in die Großfamilie Rauch, indem ich in Anna Pia, Martins Tochter, meine Partnerin und Mutter meiner Kinder gefunden habe. Sie und ihr Bruder sind ebenfalls in den verschiedenen Arbeitsfeldern von Erden tätig und Teil dieses ökologisch-handwerklichen Kosmos. Als Architekt bin ich im Team von Lehm Ton Erde gut von Nutzen und schätze die Kommunikation mit den planenden Kooperationspartnern. Heute bin ich mit der Leitung einiger Projekte und einem Teilbereich der Geschäftsführung dieses Betriebszweigs befasst; daneben lehre ich nach wie vor an der Uni Liechtenstein.
Photo: Petra Steiner
Florian Aicher: Reinhold, deine Art zu bauen fußt ebenfalls auf archaischen Techniken und sie erweitert das Feld des einfachen, nachwachsenden Bauens um eine weitere Facette.
Reinhold Straub: Mit Lehm Ton Erde bin ich seit Jahren vertraut. Mein Schwerpunkt als seit fünf Jahren selbstständiger Handwerker liegt auf einem ähnlichen, jedoch nicht identischen Feld. Im deutschsprachigen Raum ist es – anders als in Frankreich oder dem angelsächsischen Raum – noch exotisch. Die Rede ist von Hanf-Kalk.
MH Uns war wichtig, die verbreitete Euphorie für digitale Technologie im Holzbau um die Aufmerksamkeit für Baustoffe zu ergänzen, von denen erwartet wird, dass sie nachwachsend, recyclebar, CO2-neutral und lokal verfügbar sind – Baustoffe, die direkt oder aufwachsend der Erde entstammen, kreislauffähig wie das Holz selbst. In deinem Buch „Gebaute Erde“ 1 von 2015 sprichst du, Martin Rauch, von zahlreichen Kooperationen mit Architekten – etwa mit Hermann Kaufmann, Roger Boltshauser, Herzog & de Meuron – und der Entwicklung einer hybriden Konstruktion, einem System, das mehrere Techniken schlüssig zu einem Ganzen verknüpft.
Foto: Petra Steiner
MR Die Kombination Holz und Lehm ist ja uralt und weltweit bekannt. Es gibt circa vierzig verschiedene Lehmbautechniken, die sich selbstständig entwickelt haben aufgrund von Klima, Verfügbarkeit, Geologie und jeweiliger Kultur. Mich hat der extrem kurze Kreislauf fasziniert: Man nimmt den Stoff aus dem Boden, baut damit, nutzt ihn und gibt ihn dann dem Boden zurück. Man braucht wenig Energie. Reich wie Arm baute damit. Das gilt besonders für Stampflehm, der mich aus gestalterischen Gründen interessiert hat und weil er eine der stabilsten Techniken hinsichtlich Lastabtragung ist. Lehm hat, was Holz nicht hat: Er verfügt über Druckfestigkeit und thermische Masse, ist restlos recyclebar, plastisch formbar, anpassbar und interagiert mit dem Raum.
FA Die Qualität des einen kombinieren mit der Qualität des anderen bei einheitlichen Grundeigenschaften – das ist hybrides Bauen und das ist europäisches Bauen seit tausend Jahren.
MR ... länger! Bei Tacitus kann man lesen: Die Germanen bauen mit rohem Holz, das sie mit Lehm verstreichen und dann verzieren. Da haben wir den Vorläufer des Fachwerks.
FA Auch beim Blockbau gibt es das: Im Karpatenbogen werden die Rücksprünge geschichteter Stämme mit Lehm verstrichen und gekalkt.
MR Man sieht die Stärken der Verbindung, dazu kommen Dichtigkeit, Brandschutz und Feuchteregulierung. Das ist noch längst nicht ausgelotet, da fehlt die Lobby. Dabei muss heute, am Ende des fossilen Zeitalters, Lehm so ein Player werden, wie es Holz schon ist.
MM Zugleich spüren wir, dass Ressourcenknappheiten und CO2-Bilanzen nach anderen Bauformen verlangen. Die Zeit ist reif für neue technologische Entwicklungen wie beispielweise mit Lehm. Daran arbeiten wir anhand einiger Projekte intensiv; derzeit läuft etwa die Umsetzung einer ausgeklügelten, vorgefertigten Holz-Lehm-Decke für ein Bauwerk von Herzog & de Meuron oder die Entwicklung eines Holz-Lehm-Hochhauses in Kooperation mit zwei Partner-Unternehmen.
FA Bevor wir darauf eingehen, möchte ich nochmals nachhaken bezüglich der Materialeigenschaften und möglichen Kombinationen. Zur Wirkung gebracht werden können Stärken des Lehms wie Druckfestigkeit, Wärmekapazität und Absorptionsfähigkeit –umgangssprachlich Speicher- und Puffervermögen. Da wird aber auch ein Manko deutlich: Lehm alleine dämmt nicht. Der Stoff braucht dazu eine weitere Komponente, eine pflanzliche Faser, bei uns meist Stroh.
MR Für mich galt beim Hausbau seit je: Wenn’s zu Ende geht, darf nichts das Grundwasser belasten. Die Teile müssen sich lösen lassen und verschwinden. Lehm löst sich auf, Stroh verrottet. Für das eine Material muss ich nur etwas graben, das andere wächst nach.
Das vollständige Gespräch sowie weitere spannende Texte findet ihr in folgender Neuerscheinung:
"Holz. Von der Materie zum Gebauten", hg. v. Marina Hämmerle und Florian Aicher, mit Texten von: Akos Moravanszky, Dominique Gauzin-Müller, Hermann Kaufmann, Regula Lüscher und vielen anderen. Fotos von Petra Steiner, Gestaltung: Stefan Gassner, 214 x 165 mm (b x h), Hardcover, 304 Seiten, Edition Detail, München 2025, ISBN: 978-3-95553-662-6