Am 31. Mai wäre der deutsche Ingenieur, Architekt und Erfinder Frei Otto 100 Jahre alt geworden. Zum runden Geburtstag des Pritzker-Preisträgers erscheint bei Prestel die Monografie „Frei Otto, 1925-2025. Bauen mit der Natur“, herausgegeben von Joaquín Medina Warmburg und Anna-Maria Meister.
© saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau | Karlsruher Institut für Technologie
Ausnahmetalent
War er nun Ingenieur, Architekt, Landschaftsplaner, Künstler oder Forscher? Müsste man sich bei diesem Freigeist, der jede Fachdisziplin sprengt, auf eine Kategorie festlegen, es wäre wohl am ehesten: Erfinder. Frei Otto war in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Das beginnt schon mit dem Vornamen, den ihm die Mutter gab, weil dies ihr Lebensmotto war. Beide Eltern waren im Werkbund, der 1925 geborene Sohn will zuerst Bildhauer werden, studiert aber – vom Krieg unterbrochen – Architektur in Berlin.
Projektstudie "Stadt in der Arktis" 1971. Das Team von Frei Otto beim Testen der Membran © saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau | Karlsruher Institut für Technologie
Leichte Tragwerke
Als passionierter Segelflieger begeistert er sich für den Leichtbau und promoviert über „Das hängende Dach“. Er gründet ein Büro in Berlin und 1957 die erste „Entwicklungsstätte für Leichtbau“. Gleichzeitig erforscht er die Prinzipien der Natur und wie man diese auf besonders leichte Konstruktionen übertragen kann. 1964 gründet er das bis heute existierende Institut für Leichte Flächentragwerke an der Universität in Stuttgart. Spätestens mit dem Deutschen Pavillon auf der Expo ’67 ist Frei Otto kein Unbekannter mehr. Und mit den weit gespannten Dächern über dem Münchner Olympiagelände 1972, die er gemeinsam mit Günter Behnisch entwickelte, steigt er endgültig in den Architektur-Olymp auf.
Pritzker-Ehrung und Geburtstag
Völlig zurecht erhält Otto 2015 den Pritzker-Preis, stirbt allerdings kurz vor der offiziellen Verleihung, sodass er auch hier eine Ausnahme bildet: Es ist der einzige bisher posthum verliehene Pritzker-Preis, der sonst ausschließlich an noch lebende Architekten für ihr Lebenswerk verliehen wird. Bücher gibt es zu diesem herausragenden Denker der Architektur bereits zuhauf. Zum 100. Geburtstag hat sich nun allerdings das saai Archiv für Architektur und Ingenieurbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wo sich Ottos Werkarchiv befindet, aufgemacht,eine neue und fulminante Übersicht über sein Denken und Schaffen vorzulegen. Man sieht es dem großen und 256 Seiten starken Wälzer an, dass hier die Otto-Experten verantwortlich waren.
Stadt in der Arktis, Entwurfsskizze, © saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau | Karlsruher Institut für Technologie
Modelle, Experimente, Konstruktionen
In 19 Beiträgen werden Themen vor allem zu seinen Naturforschungen und deren Übertragung auf Modelle, Berechnungen und experimentelle Konstruktionen dargelegt, sowie einzelne Projekte vorgestellt; von den erwähnten Olympia-Park und Expo-Pavillon über die Multihalle Mannheim und die Ökohäuser in Berlin bis zu einer Kirche in Berlin, Ottos eigenem Atelier in Warmbronn oder einem diplomatischen Club im saudischen Riad, den der international bestens vernetzte Otto mit dem amerikanischen Büro Sprankle, Land & Sprague sowie den britischen Ingenieuren vom Buro Happold entwickelte. Abgerundet wird dieser umfassende, wortgewaltige und üppig illustrierte Überblick schließlich in zwei Gesprächen der Herausgeber:innen mit den Architekturprofessoren Jan Knippers, Achim Menges und Ferdinand Ludwig über die aktuelle Relevanz von Ottos Pionierleistungen für heutige Themen wie Bionik, Leichtbau und ökologisches Bauen. Das Buch erscheint zum 26. März 2025, rechtzeitig vor Frei Ottos Hundertjahrfeier am 31. Mai 2025.
Text: Florian Heilmeyer
Frei Otto im Seilnetz des Deutschen Pavillons auf der Expo 67 in Montreal (1966)© saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau | Karlsruher Institut für Technologie
Joaquín Medina Warmburg, Anna-Maria Meister (Hgg.), „Frei Otto, 1925–2015. Bauen mit der Natur“, Hardcover, 24,0 x 28,7 cm, 256 Seiten, 255 farbige Abbildungen, Prestel, München, New York 2025, ISBN 978-3-7913-7749-0