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Omaggio a Palladio, sculptures in mosaic for Bisazza, drawing, 2000, drawing, felt-tip pen and coloured pencils on paper, 21 x 29.7cm, Alessandro Mendini Archive (page 284)

Stefano Casiani zeichnet in einer umfassenden Monografie bei Phaidon das schillernde Gesamtwerk von Alessandro Mendini auf

Text: Sandra Hofmeister

Vor 15 Jahren habe ich Alessandro Mendini anlässlich einer Ausstellung in München nach den Aussichten in der Designwelt für die nächsten Dekaden gefragt. Der Gestalter, Eklektiker und Provokateur war damals 79 Jahre alt und sein vielschichtiges Werk längst weltberühmt. Er bestand darauf, das Interview für stylepark.com großteils auf Deutsch zu führen – in einer Sprache, die ihm von Kindheit an vertraut war. „Design hat kaum Kritiker. Die Architektur und die Literatur hingegen haben viele Kritiker, manche von ihnen können sogar mit Worten töten. In der Designwelt haben wir uns alle lieb“, sagte er und lächelte sanft in der ihm eigenen, zurückhaltenden und sympathisch verschmitzten Art. Ruhig und bescheiden. Neben vielen anderen herausragenden Fähigkeiten war Alessandro Mendini Menschenfreund und Connaisseur der Design-Szene wie kaum ein anderer. Manchmal wurde er zum nachdenklichen Kritiker seiner eigenen Profession. Sein Urteil kam immer ohne große Gesten und lauten Paukenschlag aus, deshalb war es umso überzeugender.

 

Alessandro Mendini and Franco Migliaccio painting the Poltrona di Proust,1988, photo by Giuseppe Ragusa, Alessandro Mendini Archive (page 67,bottom left)

Stationen eines vielseitigen Lebens

Vor etwa fünf Jahren, am 18. Februar 2019 ist Alessandro Mendini gestorben. Erst jetzt ist die erste umfassende Monografie zu seinem Lebenswerk erschienen, höchste Zeit! Stefano Casciani beginnt den 300 Seiten fassenden Phaidon-Band mit dem Untertitel „Alessandro Mendini: Imagination Takes Command“ mit persönlichen Worten an seinen Freund. „Ciao, Sandro!“ so die Abschiedsworte in seinem Brief, der für die gesamte Monografie den richtigen Ton setzt. Freundschaftlich und respektvoll fängt Casciani Geschichten und Hintergründe ein, geht auf die Forschung ein und fächert die vielen Gesichter von Alessandro Mendini auf. Dabei kommt auch der Humor des Gestalters nicht zu kurz, er Mendinis Lebenswerk nachhaltig geprägt hat. Insofern ist die Monografie eine Hommage und eine Erinnerung, die Ideen lebendig macht.

166 t atelier mendini

Atelier Mendini, studio of Alessandro and Francesco Mendini on Via Sannio,Milan, 1989, photo Emilio Neri Tremolada (page 166, top) On the wallpaintings by Alessandro Mendini

Mendini war Architekt und Designer, Kurator und Chefredakteur von Casabella, Modo und Domus, Art Director mehrerer Unternehmen und Botschafter der kleinen Dinge des Lebens, die dem Alltag ein Lächeln abringen. In insgesamt zehn Kapiteln sind all diese Facetten im Leben des Gestalters nachgezeichnet, von Studio Alchimia zur Postmoderne, von den Radical Design-Performances der 1970er-Jahren bis zu gebauten Architekturprojekten wie der „Torre Paradiso“ für die Expo 1989 in Hiroshima oder dem Kunstmuseum in Groningen, das 1994 eröffnete. Gemeinsam mit seinem Bruder Francesco arbeitete Alessandro seit 1989 im Atelier Mendini in Mailand – die beiden Architekten entwarfen Bürohäuser und Straßenbahnhaltestellen, Schwimmbäder und Medienzentren. Auch die Architektur ist Teil der vielen Facetten im Werk von Alessandro Mendini, obwohl sie zuweilen von den weltbekannten Produktentwürfen für Alltagsgegenstände überdeckt wird.

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La Punta pavilion for the Seoul Design Fair, Olympic Stadium Seoul, South Korea, 2010, drawing, felt-tip pen and coloured pencils on paper, 21 x 29.7cm, Alessandro Mendini Archive (page 231, image 159)

Humor und Rebellion

Die raffinierten Kapitel der Monografie bilden systematische Schwerpunkte. „Proust: a Kitsch Revolution for the Common Man“ lautet der Abschnitt, der nicht nur den Entwurf der „Poltrona Proust“ (1978) vorstellt, sondern Mendinis ironische und humorvolle Reaktionen auf Designklassiker insgesamt – von Bauhaus bis zu Gerrit Rietveld. Spielerisch konnte sich das Design in Italien von den strengen Regeln des Funktionalismus der Bauhausschule befreien, und Mendini war eine der Speerspitzen dieser Bewegung. Design als Gegenreaktion – noch heute zeigen die Projekte des Gestalters aus der damaligen Ära, dass Gestaltung nicht freudlos und schwarzweiß, sondern bunt und verspielt, ironisch und manchmal ganz und gar nicht auf den Nutzen ausgerichtet sein können. In den unvergleichbaren Skizzen von Alessandro Mendini zappeln Menschen und Texte, Objekte und Sprechblasen, die seine Entwurfs- und Gedankenwelt wieder lebendig werden lassen. Knallbunt ganz im Sinne von Memphis – Mendini war Teil der Rebellion, die sein Freund Ettore Sottsass 1980 angezettelt hatte, sind auch die Seiten und Kapitel des Buchs gestaltet. Die Grafik des Mailänder Studios La Tigre übersetzt Mendinis Ironie und Lebenslust gekonnt auf die Buchseiten, spielerisch und selbstsicher, ohne sich jedoch anzubiedern oder gar nachzuahmen. Auf dem pinken Leineneinband der Monografie ist das retuschierte Foto eines Menschenaffen zu sehen. Mendini hat die Postkarte im American Museum of Natural History in New York erworben und dem Gorilla mit Kugelschreiber einen Heiligenschein verpasst.

 

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Alessandro M & Anna G Orchestra, musical carillon for Alessi, 2003,Collection Museo Alessi, Archivio fotofrafico Alessi (page 233, top, image161)

Freundschaften und lebendige Objekte

Die Monografie ist auch ein Buch der Freundschaften, die Mendinis Leben begleitet haben. Hans Hollein und Italo Lupi, Aurelio Zanotta und natürlich immer wieder Ettore Sottsas sind da auf den vielen Fotos der Publikation zu sehen. Designprozesse sind auch für den großen Maestro nicht vom Himmel gefallen, sie waren das erfolgreiche Ergebnis von Teamwork und eines fortwährenden intellektuellen Austauschs. Einer der wichtigsten Partner:innen für Alessandro Mendini war Alberto Alessi. Zahlreiche Bestseller des damaligen Familienunternehmens für Küchenutensilien – heute ist Alessi mehrheitlich im Besitz einer britischen Investmentgesellschaft – gehen auf den konstanten Dialog zwischen Alberto und „Sandro“ zurück. Mit dem Korkenzieher „Alessandro M“ für Alessi fand Mendini einen Weg, die feine Grenze zwischen Spaß und Kitsch in der Welt der Küchenobjekte einzuführen und in den Alltag zu integrieren. Er entwarf den Korkenzieher als Wesen mit menschlichen Zügen, ganze Familien mit Eltern und Kindern sind darunter, zu Festtagen zog er den Figuren besondere Kleider an. Und irgendwie steckt in dem gesamten Projekt auch eine Art Selbstporträt. Casciani schließt sein Buch mit einem Kapitel, das nur aus Skizzen besteht und sich „In the Garden of Eden“ nennt. Spätestens beim Lesen dieser Schlussseiten wird mir klar, welche Lücke Alessandro Mendini in der Designwelt hinterlassen hat. Nicht nur im Produktdesign, sondern auch als Mentor, Kritiker und kreativer Kopf, der die gesamte Szene überblickt hat und dabei stets zuversichtlich blieb. Bis heute hat niemand diese Lücke ausgefüllt. Deshalb vermisse ich Alessandro Mendini, und deshalb ist diese Monografie umso wertvoller.

Stefano Casciani, „Alessandro Mendini“, Hardcover, 300 Seiten, 305x238 cm, 300 farbige Illustrationen, Phaidon, London 2025, ISBN 978 1 83866 867 9

 

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